Neues Tor: neue Freiheiter, neugierige Blicke und der verschwundene
Zugang zur Freiheit
Sind
das Freiheiter, die sich keck ihre Stelzen herausgeholt und den Wall zur
Stadtmauer erklommen haben um einen neugierigen Blick über die
Mauerkorne in die Oberstadt zu wagen? Was gibt es zu sehen hinter der
Mauer, die hoch über dem Wall gelegen die Stadt auch dann noch vor
angreifenden Truppen schützte, als die Freiheit längst überrannt war und
in Flammen stand? Seit 2005 schauen die Stelzengänger der Künstler
Kristina Fiand und Ernst Groß über die Mauer direkt neben dem Neuen Tor.
Nachdem die Freiheit 1536 ihre Freiheit verloren hatte, wurde zwischen
Oberstadt und Unterstadt das Neue Tor als Personenzugang in die
Stadtmauer gebrochen. Über die Wallanlagen hinweg führte der Weg recht
steil am Stiftsgebäude vorbei hinunter zur Freiheiter Straße. Die kleine
Pforte war die einzige direkte Verbindung zwischen den beiden Teilen der
Doppelstadt.
Lange
Jahrzehnte ruhte Homberg in sich selbst, die Stadt entwickelte sich nur
innerhalb ihrer Mauern. Freiheit und Oberstadt hatten ihre Zugänge durch
die großen Stadttore und die Personenverbindung durch das Neue Tor. Erst
spät sprengte die Stadt die Grenzen. Zwar gab es schon den Friedhof vor
dem Westheimer Tor - die Lebenden siedelten jedoch bevorzugt innerhalb
ihres jeweiligen Mauerrings. Erst im 19. Jahrhundert werden die
Stadttore abgebrochen, erst mit der Verlagerung des Lehrerseminars aus
der Freiheit in den Neubau an der Ziegenhainer Straße 1879 beginnt die
Bebauung der Flächen vor der Stadtmauer.
Zwischen der Freiheit und der Altstadt liegen fruchtbare Gärten und noch
immer führt ein gepflasterter Weg durch das Neue Tor hinab zur Freiheit
direkt auf das Haus der Bäckerei Ande zu, die die Schüler der
Stadtschule mit Leckereien versorgt. Der Verkehr fließt weiter durch das
Westheimer Tor nach Homberg hinein und verteilt sich über den Marktplatz
Richtung Melsungen durch das Obertor oder Richtung Bad Hersfeld durch
das Holzhäuser Tor wieder aus der Stadt hinaus.
Die
Stelzengänger hätten ihren Weg also durch blühende Gärten genommen,
ungefähr an der Stelle, wo die alte Freiheiter Mauer auf die Stadtmauer
stößt. Eine Straße hätten sie nicht überqueren müssen. Die wurde 1937/38
gebaut und war sicherlich einer der bis dahin gravierendsten Eingriffe
in das städtebauliche Ensemble der mittelalterlichen Doppelstadt. Damals
war die Straße, die die beiden Stadthälften nun voneinander trennte als
Umgehungsstraße konzipiert.
Die Mauer der Freiheit wurde durchbrochen, die Gärten verschwanden, an
der Drehscheibe verschwand ein jüdisches Kaufhaus zugunsten eines neuen
Verkehrsknotens. Doch der Weg durch das Neue Tor blieb. Pflaster und
flache Basalttreppenstufen, unterhalb der Stützmauer der neuen
Wallstraße waren weiterhin Gärten und der Schulhof der Stadtschule.
Zwischen alten Steinmauern ging es hinunter zur Freiheit.
In
den 70er Jahren wurde die Stadtschule abgebrochen und das Feuerwehrhaus
errichtet. Über den Gärten und Schulhöfen wurde dick Beton geschichtet -
der Busbahnhof setzte sich zwischen Freiheit und Stadt. Eine neue
Barriere, grauer Beton, fast unüberwindbarer als der alte Wall und die
Stadtmauer. Seitdem führt vom Neuen Tor kein Weg mehr hinab zur
Freiheit, das mächtige Damenstift, ein würdiger Fachwerkbau wird vom
Betonkoloss erdrückt und klein gemacht.
Jetzt ist die Freiheit nur noch unterirdisch zu erreichen, quasi durch
einen Zugang zum Hades. Und wirklich - hier stink es meist höllisch nach
Urin und vergossenem Bier, die Wände sind beschmiert, Scherben liegen
herum. Verschwunden die Gärten, in denen Marianne vom Stein und Karoline
von Baumbach vom Aufstand gegen den französischen König in Kassel
träumten, kein würdiger Zugang mehr zu der Straße, in der Hombergs
Zukunft als Schulstadt begann.
Sicherlich
hätten sich die neuen Bewohner, die seit Anfang 2006 die Fläche zwischen
Straße und Stadtmauer besiedeln auch einen anderen Ausblick gewünscht.
Noch schauen sie sich etwas suchend wie Touristen um und würden
sicherlich gerne wie ihre großen Kumpel auf den Stelzen einen Blick
über die Mauer werfen. Die bunten Holzfiguren wurden von Schülern in
einem Workshop mit Kristina Fiand und Ernst Groß gestaltet. Und wenn um
sie herum die neu angelegten Wallgärten heranwachsen werden sie bestimmt
bald zu echten Freiheitern - denn hier sind wir vor der Mauer der
Altstadt.
Website der Künstler Kristina Fiand und Ernst Groß:
www.kunstwerkhof.de