Verschwörung in der Freiheit:
Der Dörnberg-Aufstand - ein Homberger Fiasko
Der Homberger Marktplatz voll Aufständischer, die wild um sich
schauen und ihre martialische Bewaffnung aus Dreschflegeln und Sensen
zur Schau stellen, ein Bauernheer aus der gesamten Region, fertig zum
Abmarsch. Branntwein wird verteilt - und die Gesichter werden noch
wilder, die Äxte bedrohlich geschwungen. Ein Haufen Aufständischer,
Bürger und Bauern, bereit zum Abmarsch, entschlossen zum Kampf.
Aber das Mittelalter ist lang vorüber, kein Bauernkrieg wird
angezettelt, kein Sturm der längst nicht mehr vorhandenen Burg - es ist
der 22. April 1809, Sensen und Dreschflegel sind schon lange nicht mehr
die Waffen der Wahl. Was haben sie vor, die von Alkohol und Kampflust
Berauschten auf dem Homberger Marktplatz? Ein Aufstand in diesem
beschaulichen Städtchen, dessen mittelalterliche Blüte Erinnerung ist,
das zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt hat, an dem allerdings
nur eine kleine Bürgerschicht partizipierte? Die sozialen Unterschiede
sind groß, die unterprivilegierte Unterschicht breit.
Im
August 1806 wurde Hessen von französischen Truppen Napoléons besetzt.
Trotz eines Neutralitätspakts mit Napoléon wurde das Kurfürstentum Opfer
der politischen Machtverhältnisse. Die strategische Lage in der Mitte
Deutschlands und das hierdurch bedingte Interesse Preußens machten die
Neutralität zu einem aussichtslosen Unterfangen. Der Landgraf setzte
sich zu seinem Bruder nach Schleswig ab, am 3. November 1806 wurde auch
Homberg von französischen Truppen besetzt.
In Kassel regierte nicht mehr Kurfürst Wilhelm I. sondern Napoléons
Bruder Jérôme. Die Ideale der französischen Revolution waren längst
dahin, die Verfassung des Königreichs Westfalen, dessen Mittelpunkt
Kassel nun war, schien liberal - insbesondere im Vergleich zur
vorherigen Fürstenherrschaft - doch die Realität sah anders aus.
Bespitzelung und polizeistaatliche Unterdrückung sollten die
kurhessischen Bürger, die die neuen Herrscher erbittert ablehnten, zur
Raison bringen.
Napoléon schickt sich an Europa zu erobern und auf dem Homberger
Marktplatz stehen sie mit Dreschflegeln, Sensen und Äxten. Was hat diese
Männer angetrieben, für welche Ideale wollten sie in den Kampf ziehen?
Die Bauern als Kämpfer für die Rückkehr des feudalistischen Fürsten -
war das ein Ziel, das den Kampf lohnte? Sie wollten es wagen, wollten
losziehen, ein schäbiger Haufen auf dem Weg nach Kassel, den
französischen König von Westfalen zu vertreiben. Was wussten sie von der
politischen Lage in Europa, vom Kampf der Weltmächte Großbritannien und
Frankreich, welche Vorstellung hatten sie von der Zukunft ohne die
scheinbar so schweren französischen Fesseln?
War da schon etwas von den Gedanken und Träumen, die mehr als 40
Jahre später zur Revolution in Deutschland führten, nach vielen blutigen
Rückschlägen zur Gründung des Nationalstaats? Oder war es einfach nur
die Wut über die drückenden Abgaben an die französischen Truppen, die
Dienste, die die Franzosen ohne Rücksicht auf den Stand von Bauern und
Bürgern gleichermaßen forderten? Immerhin gab es auch in anderen Teilen
der französischen Einflussgebietes erbitterten Widerstand, wie z.B. in
Tirol von Andreas Hofer, der mit seinen Bauernheeren mehrmals geben die
bayrischen und französischen Truppen aufbegehrte, bis er schließlich
1810 hingerichtet wurde.
Seine Berühmtheit erlangten die Homberger Aufständischen nicht, der
Aufstand hatte durchaus seine liebenswürdig pittoresken Züge und
wahrscheinlich haftete ihm von Seiten der Homberger Teilnehmer auch
nicht die für den Erfolg notwendige Entschiedenheit an - vielleicht
typisch für unsere Stadt?
Lange
Vorbereitungen waren dem Aufstand vorausgegangen, man traf sich
konspirativ im Wallensteinschen Damenstift in der Freiheit, Marianne vom
Stein - eine Schwester des berühmten preußischen Ministers - war dort
die Hauptverschwörerin, man traf sich im auf den Resten des Bächtenturms
1800 errichteten Biedermeierhäuschen - ein idyllisch gelegener
Verschwörertreff auf der Homberger Stadtmauer. Dort soll die Stiftsdame
Karoline von Baumbach die rot-weiße Fahne der Verschwörer gestickt
haben.
Das Ambiente des Aufstands war eher geeignet für eine tragische
Liebesgeschichte als für einen Aufstand. Oder war es die tragische Liebe
zur Heimat, die zum Aufstand führte? Die politischen Motive ließen doch
eher Raum für Zweifel. Immerhin war es der verhasste Jérôme - auf der in
Napoléonshöhe umbenannten Wilhelmshöhe in Kassel residierte er
verschwenderisch und handelte sich schnell den Spitznamen König Lustig
ein - der die Leibeigenschaft abschaffte und mit dem Code Napoléon ein
für die Zeit fortschrittliches Gesetzeswerk einführte. Das waren
sicherlich nicht mehr die Ideale der französischen Revolution, aber ob
es für die Bürger und Bauern schlechter war als die Herrschaft des
'Landgrafen, muss sicherlich gefragt werden.
Militärisch stand der Aufstand unter der Leitung des Oberst Wilhelm
von Dörnberg, von dem der Aufstand später seinen Namen erhielt. Das
idyllisch Türmchen auf der Stadtmauer heißt im Gedenken an seine
entscheidende Rolle als Treffpunkt Dörnberg-Tempelchen. Dörnberg war
wohl klar, dass er mit dem mittelalterlich anmutenden Bauernheer keine
Chancen gegen Kanonen und Gewehre hatte, er versuchte mit
unterschiedlichem Erfolg militärische Einheiten auf die Seite der
Aufständischen zu ziehen. Geplant war eine Erhebung, die den gesamten
norddeutschen Raum umfassen sollte, Kontakte zu den Gegnern Napoléons in
Preußen waren geknüpft und nach einigem Hin und Her einigte man sich
darauf, in der Nacht vom 22. zum 23. April loszuschlagen.
Auch wenn die Nordhessen sonst ihrer Zeit nicht unbedingt voraus sind
- den Aufstand begannen besonders eifrige Aufständische um den
Friedensrichter Martin in der Schwalm 24 Stunden zu früh. Und so
erwartet die wilde Menge auf dem Homberger Marktplatz den Oberst von
Dörnberg schon sehnsüchtig mit den Dreschflegeln klappernd. Karoline von
Baumbach überreicht die rot-weiße Fahne - 'Sieg oder Tod im Kampf für
das Vaterland' - golden leuchtet die Inschrift in der Frühlingssonne,
denn natürlich muss an einem solchen Tag die Frühlingssonne golden
leuchten.
Obwohl der Aufstand entdeckt ist, obwohl sich nicht alle der
erhofften Einheiten den Aufständischen anschließen, zieht der Trupp
Richtung Kassel und wird auf der Höhe von Hertingshausen von den Truppen
Jérômes empfangen. Was sollen sie den Kanonen und Gewehren
entgegensetzen? Den Männern mit Sensen und Äxten wird schnell klar, wie
ihre Chancen aussehen, als die Kanonen in den Trupp hineinschießen. So
wild wie sie sich auf dem Marktplatz gesammelt haben, so wild flüchten
sie zurück. Sieg oder Tod ist für sie keine Frage mehr. Auch Dörnberg
bleibt nichts als die Flucht, sein Unternehmen ist ein Fiasko, die
Bürger und Bauern hoffnungslos unterlegen und die Unterstützung durch
andere militärische Einheiten eine Fehlkalkulation. Er entkommt nach
Böhmen.
Jérôme
fand den kleinen Aufstand der Nordhessen nicht lustig. Bis auf den Boden
zermalmen wollte er die Niederträchtigen. Es wäre schade um die Stadt
gewesen, die nach dem dreißigjährigen Krieg und seinen Zerstörungen
wieder beachtlich herangewachsen war. Also machten sich die Bürger
Hombergs wieder auf den Weg nach Kassel. Diesmal nicht als wilder Trupp
entschlossener Kämpfer, nicht mit rot-weißer Fahne und wohl auch nicht
mit alkohol-roter Nase. Es waren auch nicht Bauern und Handwerker -
Apotheker, Kaufmann, Gutsbesitzer, die bessere Gesellschaft machte sich
auf den Weg - nicht zu Fuß, sondern in der Kutsche des Bürgermeisters.
Und sie kamen auch nicht, um die Freiheit des Vaterlands einzufordern,
sie kamen vom 3. bis 5. Juni 1809 nach viel Fürsprache und ebensoviel
Bittgeldern. Am 4. Juni wurden sie von Jérôme empfangen und durften ihre
Bittschrift überreichen. Die Kosten für den Empfang auf dem Schloss
wurden ihnen in Rechnung gestellt.
Marianne vom Stein und andere Stiftsdamen wurden verhaften, ebenso
Karoline von Baumbach und eine Reihe weiterer Bürger der Stadt. Marianne
vom Stein wird bis nach Paris verschleppt - was sie wohl auch als
besondere Rache an ihrem in preußischen Diensten stehenden Bruder
gedacht ist. Im Frühjahr 1810 wird sie entlassen. Das Wallensteinsche
Damenstift wird französischer Verwaltung unterstellt, sein Vermögen
beschlagnahmt.
Die Stadt Homberg muss starke französische Einquartierungen
hinnehmen, was nicht nur mit militärischer Schmach sondern vor allem mit
hohen Verpflegungskosten verbunden ist. Und ein Jahr nach dem Aufstand
macht sich auch Jérôme selbst auf den Weg nach Homberg - die aufmüpfigen
Bürger mussten ihm ihre Gunst beweisen und für den Empfang eine
Ehrenpforte errichten.
Jérôme
Bonaparte blieb bis 1813 König von Westfalen, nach Napoléons
gescheitertem Russlandfeldzug blieb ihm nur der Rückzug nach Frankreich.
Der Kurfürst kehrte nach Kassel zurück. Lange währte die Freude der
Bürger über die Rückkehr nicht, denn der langsam erwachende Wunsch nach
bürgerlichen Freiheiten stieß bei ihm auf taube Ohren. Das alte Regime
wurde wieder installiert und einigen Bürgern wird wohl gedämmert haben,
dass ein paar Rechte des Code Napoléon freiheitlicher waren als Wilhelms
absolutistische Fürstenherrschaft.
Jérôme kämpfte an der Seite seines Bruder bei Waterloo mit dem
bekannten Ausgang der Schlacht, lebte einige Jahre im Exil. 1852 wurde
er Präsident des französischen Senats (sein Neffe hatte sich zum
Präsident wählen lassen, die zweite Republik in einem Staatsstreich
gestürzt und sich später zum Kaiser Napoléon III krönen lassen - aber
das ist eine andere Geschichte). Ob sich Jérôme da noch an die nette
kleine Stadt am Berg erinnerte, aus der einst ein Bauernheer zu seinem
Sturz gen Kassel gezogen war, die ihn später durch eine Ehrenpforte
innerhalb ihrer Mauern empfing?
Homberg mussten in den Jahren nach dem Aufstand immer wieder Truppen
beherbergen - erst die französischen, dann russische oder preußische.
Die Stadt musste Verpflegung und Material liefern, Soldaten für den
Kampf gegen Frankreich stellen. Eine gute Zeit für die Stadt war dies
nicht.
Auf
dem Alten Friedhof finden sich die Grabkreuze von Marianne vom Stein und
der Äbtissin von Gilsa. Das Zentrum der Verschwörung, das ehemalige
Damenstift in der Freiheit, ist heute ein städtisches Miethaus.
Wer heute am Burgberg entlang geht und durch die schmale Pforte beim
Dörnberg-Tempelchen in die Stadt zurückkehrt, kann vielleicht kurz an
die Verschwörer denken, die hier oben ihren Aufstand geplant haben - und
an Karoline von Baumbach, die hier die berühmte weiß-rote Fahne der
Aufständischen gestickt haben soll - 'Sieg oder Tod im Kampf für das
Vaterland' - und dabei hoffentlich nicht nur an das Vaterland gedacht
hat.